Albinos auf Wunsch?

Albinos auf Wunsch?

Wie moderne Gentechnik die aquaristik beeinflussen kann

Text & Fotos: HARRO HIERONIMUS


Bei Fischen kommt es – wie bei anderen Tieren und Pflanzen auch – immer wieder zu Mutationen. Das sind sprunghafte Veränderungen der Gene, die allerdings nicht immer von außen erkennbar sind. Eine der bekanntesten Mutationen ist der Albinismus, bei dem alle Farbzellen und damit Pigmente wegfallen und so der Fisch einen fleischfarbenen Körper mit roten Augen hat, zumindest bei den meisten Arten. Die roten Augen entstehen, weil das Blut durch das Auge schimmert.
In Asien gelten Albinos als glückbringend. Sie werden dort gezielt gezüchtet, sobald in einer Nachzucht ein Albino auftritt. In der Natur gibt es praktisch keine Albinos, denn diese sind für Fressfeinde aufgrund ihrer abweichenden Färbung sehr gut zu erkennen und fallen ihnen als Erste zum Opfer.

Trotz der gelben Körperfärbung weisen die roten Augen diesen Ancistrus als Albino aus.


Vom Einzelstück zur Menge

Meist treten nur Einzelexemplare in Nachzuchten auf. Das ist aber für die Nachzucht kein grundsätzliches Problem, es dauert nur etwas länger, eine größere Menge zu bekommen. Dazu nimmt man das albinotische Exemplar und kreuzt es mit einem normalfarbigen. Für die Nachzucht gilt die erste Mendelsche Regel, die Uniformitätsregel: Alle Nachkommen, die sogenannte F1-Generation, sehen gleich aus, nämlich so wie die normalfarbigen Fische. Diese Farbe ist dominant. Allerdings tragen diese Fische die Anlage für Albinismus verdeckt, rezessiv, in sich.
Kreuzt man nun zwei Exemplare der F1-Generation, kommt die zweite Mendelsche Regel, die Spaltungsregel, zum Zuge: Danach sind – natürlich statistisch gesehen – ein Viertel der Nachkommen, also der F2-Generation, normalfarbig wie die Eltern. Die Hälfte sieht so aus wie die Eltern, trägt aber das Albinogen verdeckt, sie sind also spalterbig in Albino. Aber ein Viertel sind reinerbige Albinos, die man als solche erkennt und mit denen dann weitergezüchtet werden kann. Da sich manche Arten aber nur schwer oder erst nach einer längeren Zeit – Guppys sind da sicher eine Ausnahme – vermehren lassen, kann es also länger dauern, bis größere Mengen von Albinos erzeugt werden können. Und bei vielen Arten gibt es noch gar keine Albinos.

Auch bei Guppys können bei Albinos noch mehrere Farben vorhanden sein.


Überraschend einfach

Natürlich geht dies nicht immer so glatt, bei vielen Fischarten gibt es bislang keine Albinos, und es dauert ja mindestens zwei Generationen, um einen reinerbigen Albinostamm zu erhalten. Wissenschaftlern aus Schanghai und Singapur ist es nun gelungen, Albinos ganz gezielt und quasi auf Wunsch von jeder Fischart zu erzeugen, die nachgezüchtet werden kann. Sie bedienen sich einer Methode, die von zwei Wissenschaftlerinnen entwickelt wurde: Emmanuelle Charpentier (ist heute Leiterin der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene) und Jennifer Doudna, die an mehreren US-amerikanischen Universitäten lehrt. Beide erhielten für ihre Entdeckung 2020 den Nobelpreis für Chemie.
Man kann sich – vereinfacht gesagt – CRISPR/Cas9 als eine molekularbiologische Schere vorstellen, mit der man einzelne Abschnitte der DNA ganz gezielt einfügen, schneiden oder entfernen kann. Die Methode ist überraschend einfach durchzuführen und gleichzeitig kostengünstig. Dabei steht CRISPR für die Methode und Cas für das Enzym, mit dem die Schnitte durchgeführt werden.
In die so entstehenden Schnitt stellen können dann andere Genabschnitte eingefügt werden. Mit dieser Methode sollen sich in Zukunft genetische Erkrankungen beim Menschen heilen lassen, Forschungen dazu laufen. Aber man kann eben auch anderes damit machen.

Bei albinotischen Sumatrabarben sind die roten Farben erhalten geblieben.

Albinotische Kongosalmler sind nicht so häufig zu sehen.


Gezielte Produktion

Bei vielen Fischen hat man inzwischen das Genom so weit entschlüsselt, dass man weiß, welche Abschnitte für die Pigmentierung – also Farbe – des Fischs verantwortlich sind. Werden also die Abschnitte durch CRISPR/Cas9 in einem frühen Entwicklungsstadium, in der Regel im Embryo oder in der Larve, durch eine Injektion des Enzyms entfernt, entsteht ein Albino.
In der zitierten Arbeit wurden auf diese Weise Albinos von Panamastörwelsen Sturisoma panamense und des Quetzalbuntbarschs Vieja melanura erzeugt. Diese Versuche wurden auch mit dem Ziel unternommen, mehr der vor allem in Asien gesuchten Albinos für die Aquaristik zu erzeugen und so einen wirtschaftlichen Vorteil zu erhalten.
Statt dem zufälligen Entstehen von Albinos können diese nun gezielt produziert und so eine tatsächlich vorhandene Nachfrage besser gedeckt werden. Und diese Methode braucht nur einmal angewendet zu werden, denn die so erzeugten Albinos sind reinerbig, ihre Nachkommen gleichen den Elternfischen wie ein Ei dem anderen. Natürlich mag nicht jeder Aquarianer Albinos. Tatsächlich gibt es aber keine Hinweise, dass Albinos nicht so artgerecht zu halten wären wie wildfarbene Exemplare. So bleibt es in jedem Fall den Aquarianern überlassen, für welche Farbform sie sich entscheiden.

Dieses Albino Guppyweibchen ist dazu noch so durchsichtig, dass man die Eientwicklung beobachten kann.


Die Ausnahmen

Nicht alle Fischarten haben die Gene für die Pigmente an den gleichen Stellen der DNA. So gibt es etwa bei einigen Lebendgebärenden Zahnkarpfen wie Guppys oder Schwertträgern auch beispielsweise rote Albinos, bei denen also alle Farbpigmente außer den roten weggefallen sind und die an ihren roten Augen als Albinos zu erkennen sind.

Sogar vom Diskusbuntbarsch gibt es Albinos, hier auf einer Ausstellung aufgenommen.

Außerdem bleibt in vielen Fällen ein Rest der Zeichnung vorhanden. Während schwarze Pigmente fast immer komplett wegfallen, sind es häufig rote oder rötliche Zeichnungsmuster, die erhalten bleiben. Auch die Iridophoren, die für die Glanzeffekte verantwortlich sind, können noch zu sehen sein und so das frühere Zeichnungsmuster noch durchscheinen lassen. Bislang wurden neben dem zufälligen Entstehen von abweichenden Farben und Formen weitere Methoden angewandt, um neue Farben zu erzeugen. So spricht man etwa von radioaktiver Bestrahlung oder dem Einsatz mutagener (also genverändernder) Chemikalien. Diese Methode kann zum Erfolg führen, aber sehr viele Larven bleiben dabei auf der Strecke oder aus den Eiern entwickeln sich, wenn überhaupt, nicht lebensfähige Exemplare. Mit CRISPR/Cas9 lassen sich bei Kenntnis der entsprechenden Genabschnitte – nur eine Frage der Zeit – dagegen weitgehend verlustfrei neue Farbformen erzeugen.

In Asien deutlich beliebter als bei uns sind die Albino-Oscars, Astronotus ocellatus.

Neben dem altbekannten Albino-Metallpanzerwels gibt es inzwischen noch weitere Albino-Panzerwelse, hier von Corydoras sterbai.

Man mag dazu stehen, wie man will, aber die Verkaufszahlen etwa der Schmetterlingsbuntbarsche in der Variante „Electric Blue“ oder von Black Mollys zeigen, dass diese Varianten bei vielen Aquarianern auf Anklang stoßen. Und tatsächlich spricht auch nichts dagegen, Farbformen zu halten, denn sie sind für viele Interessenten der Grund, sich näher mit Fischen zu beschäftigen und so vielleicht überhaupt erst zum Aquarianer zu werden.

Mit CRISPR/Cas9 lassen sich künftig sicher auch Zuchtformen wie der Schmetterlingsbuntbarsch „Electricblue“ erzeugen.

Auch vollkommen schwarze Fische wie dieser Black Molly sind mit CRISPR/Cas9 denkbar.