Rainer Stawikowski war 36 Jahre Vollblutaquarianer und großer Fan von Buntbarschen
Text & Titelbild: OLIVER MENGEDOHT
Eigentlich ist er nach mit 70 Jahren wieder da, wo er als kleiner Junge mal angefangen hat: bei Amphibien und Reptilien. Dabei hat Rainer Stawikowski (70 Jahre) die Aquaristik geprägt wie nur wenige andere. Der langjährige Redakteur der Datz (Die Aquarien- und Terrarien-Zeitschrift) kriecht nach jahrzehntelanger Beschäftigung mit Fischen heute wieder Amphibien und Reptilien nach – und ist glücklich damit. Wir haben Rainer in Gelsenkirchen besucht und geschaut, was der „Vater der L-Welse“ heute so treibt.
Der war mal ein „Fischmensch“, durch und durch. Aber angefangen hat alles ein bisschen anders. „Stawi“ wurde 1954 in Werl im Kreis Soest geboren, in Westfalen. „Wir wohnten am Stadtrand und rundherum war alles ländlich, mit Bächen und einem Teich auf jedem Bauernhof“, erinnert der 70-Jährige sich. Da sei er natürlich mit Nachbarskindern und Mitschülern losgezogen und habe mit selbstgebastelten Keschern Kaulquappen gefangen, Molche und Stichlinge.
Mit dem Harnischwels L 27 der Gattung Panaque in Belém im Jahr 1989 (Foto: privat).
„Die haben wir in die obligatorischen Gurkengläser gesetzt und gehalten. Wenn die Kaulquappen kurz vor der Umwandlung zu Fröschen waren, brachte man die wieder raus – das war damals gang und gäbe.“ So fing es damals an. Ebenfalls völlig normal sei es in den 60er-Jahren gewesen, dass in viel mehr Mietwohnungen ein Aquarium gestanden habe. Und sein erstes Aquarium kam durch die Waldeidechsen zustande.
Eben jene suchte seinerzeit der Zooladen in der Kreisstadt Soest – „es war damals nicht unüblich, dass Zoohändler einheimische Tiere anboten.“ Ein Freund kam auf die Idee, die Waldeidechsen, die die beiden immer an einem Fahrradweg an der B1 sahen, dort anzubieten. „Für jede Eidechse bekamen wir 30 Pfennig, und eine Blindschleiche, die brachte eine Mark.“ 10 D-Mark brachte dieser Handel ein und „von meiner Hälfte habe ich mein erstes, gebrauchtes Aquarium gekauft von einem Nachbarn. „Das kann man sich alles gar nicht mehr vorstellen, bei all dem Naturschutz und den Hindernissen heute.“
Die Veröffentlichung der von Rainer erstbeschriebenen Art aus Venezuela (Foto: Oliver Mengedoht).
Der erste Fisch
So kam das erste Aquarium auf die Fensterbank, mit Guppys, auch vom Nachbarn. „Natürlich habe ich die gezüchtet.“ Ein Nachbar „mit einem wunderschönen Barbenaquarium im Wohnzimmer“ nahm Rainer damals einmal mit zu einem Zoohändler in Wickede an der Ruhr und dort schwammen in einem Becken Buntbarsche: Günthers Prachtbarsch (Chromidotilapia guntheri) aus Westafrika – „die haben mich irgendwie fasziniert, vor allem die Brutpflege. So kam meine Liebe für die Buntbarsche zustande.“ Später seien dann zu den afrikanischen noch die amerikanischen Arten gekommen, die ihn noch mehr packten.
Eine historische Aufnahme: Das erste Aquarium nach den Gurkengläsern (Foto: Rainer Stawikowski).
Über diesen Buntbarsch C. guntheri hatte der junge Rainer auch 1970 seinen ersten Artikel in der Datz, „da war ich 16“. Zu jener Zeit lernte er Uwe Werner kennen, der ihn zum Fotografieren der Fische brachte und mit dem er später einen Verlag für ein Buntbarsch-Buch suchte. Dieter Vogt, Chefredakteur der Datz in Essen, zeigte sich interessiert, bot „Stawi“ aber vor allem gleich einen Redakteursposten an. „Da habe ich hoppladihopp mein Studium aufgegeben, denn als Englischlehrer hätte ich auch keine großen Chancen gehabt.“
1983 mit seinem Freund Uwe Werner auf Fangreise in Mexiko (Foto: privat).
1983 war der Vollblutaquarianer auf einer von insgesamt rund 20 Fangreisen und bei Exporteuren, hier in Mexiko (Foto: privat).
1983 wurde konnte der Werler also sein Hobby als Redakteur bei der Aquaristikzeitschrift zum Beruf machen, 1988 übernahm er die Chefredaktion, gestaltete insgesamt fast 400 Magazine mit. Zunächst aus dem Homeoffice in Gelsenkirchen („Das habe ich damals so schon praktizieren dürfen und musste einmal in der Woche, nachher einmal pro Monat nach Stuttgart zu Ulmer“), später in der ehemaligen Gemeindebücherei. Die Redaktion dort war vielen Aquarianern von Besuchen und Treffen bekannt, dort standen bis zu 13 Aquarien, das größte fast vier Meter lang.
„Rainers Buntbarsch“: ein Paar des Venezolanischen Keilfleckbuntbarsches beim Laichakt.
Keine Fantasienamen
Und dann waren da ja noch die L-Welse. Diese Geschichte beginnt auf der Aqua-Fisch in Friedrichshafen. 1988 kam hier „ein Mann an unseren Messestand und stellte sich als Importeur von Aquarienfischen vor“, erinnert sich Rainer. Das war Arthur Werner mit einem Zierfischgroßhandel in Planegg bei München, der diese Firma von seinem Vater übernommen hatte und begann, gezielt Fische aus Brasilien zu importieren.
Werner hatte dafür eine Exportstation in Belém, unweit der Amazonasmündung, mit mehreren Fängern, die für ihn Buntbarsche und Harnischwelse sammelten. „Ob denn die Datz nicht Interesse hätte, die neu importierten Fische vorzustellen, auch Buntbarsche, meine Fische sozusagen – da konnte ich nicht nein sagen.“ Die ersten Harnischwelse zur Vorstellung holte Rainer in Styroporkartons mit der Eisenbahn und mehrfachem Umsteigen aus Bayern ins Ruhrgebiet.
Heute beschäftigt der Aquarianer sich eher mit Reptilien, hier 2023 in der Türkei (Foto: privat).
In der Dezemberausgabe 1988 der Datz wurde mit L1 bis L9 der Anfang der berühmten L-Nummern gemacht. Erfinder waren Rainer, Arthur Werner und der Fischkundler Uli Schliewen. Es kamen haufenweise attraktive Harnischwelse ins Land, die ohne Namen schlecht zu vermarkten waren. Sie sollten aber keine Fantasienamen erhalten, sondern mit Struktur vorgestellt werden. Die L-Nummern – für die Familie Loricariidae – sollten zusammen mit einem Farbfoto die Arten und Varietäten (vielfach sind es Standortvarianten mit unterschiedlicher Färbung) bestimmbar machen.
Auch der berühmte Zebrawels – L 46 – erhielt recht früh seine Nummer. Das Tier mit der irre schönen Färbung, das „Stawi“ 1989 bei Kölle Zoo in Stuttgart-Ziffenhausen ablichten konnte, erzielte damals Preise von schwindelerregenden 900 D-Mark und mehr.
Fit bleiben, um die „Viecher“ weiter ablichten zu können, ist der Wunsch des Rentners.
Es dürfte wohl weltweit einmalig sein, dass sich ein System einer Hobbyzeitschrift so durchsetzt, aber der Handel übernahm es schnell, auch international, und sogar Ichthyologen griffen die L-Nummern auf, wenn sie neue Arten beschrieben. „Es wurde von Anfang an gut angenommen, weil es so einfach war“, erklärt Rainer. „Auch wenn wir das so natürlich gar nicht erwartet hatten.“ Heute sind wir bei L-Nummer 528, dem Rotflecken-Antennenwels Ancistrus sp. „Río Paraguay“.
Mit P für Rochen (Potamotrygon spp.), C für Corydoradiden, V für Viktoriasee-Buntbarsche und A für Apistogramma-Zwergbuntbarsche sind ähnliche Versuche bei anderen Fischgruppen versucht worden, aber konnten sich nicht durchsetzen. Einzig das konkurrierende LDA-System der Zeitschrift „Das Aquarium“, welches Nummern an Welse vergab, die nicht von Arthur Werners Firma „Transfish“ importiert wurden oder von der Datz abgelehnt wurden, konnte sich eine Weile bis zu LDA 105 im Jahr 2007 halten.
Knapp 20 Fangreisen nach Süd- und Mittelamerika kamen dazu, meist nach Brasilien in die Habitate seiner geliebten Cichliden. „Brasilien war für mich damals eigentlich das gelobte Land: Jeder Fluss hatte eine endemische Fischfauna.“ Seine Lieblingsbuntbarsche seien damals die Erdfresser gewesen, die meistens noch nicht bekannt, geschweige denn beschrieben waren.
Hier war Rainer noch aquaristisch unterwegs, auf der Zajac-Messe in Duisburg 2011 mit Dähne-Autorin Monika Rademacher (Foto: Oliver Mengedoht).
Ausgehend von den L-Welsen hat Rainer auch Leserreisen organisiert. Die erste kam durch eine Kooperation mit der Zeitschrift „Herz für Tiere“ zustande, dreimal ging es insgesamt mit Aquarianern und Zoohändlern nach Brasilien. „Das Schöne für mich war, dass ich mir keinen Urlaub nehmen musste und alles bezahlt bekam, denn mein Verleger meinte, für die Leser-Blatt-Bindung könne man gar nichts Besseres anbieten.“
Es folgten weitere Datz-Leserreisen zum Malawisee, eine zum Tanganjikasee und eine nach Vietnam. Ähnlich legendär waren die Datz-Foren in der Stuttgarter Wilhelmina oder zahllose Fotoseminare für Aquarianer – das alles trug wohl zu dem nicht schlechten Ruf der Zeitschrift bei“.
Die ersten neun L-Nummern erschienen 1988 in der Dezemberausgabe der Datz (Foto: privat).
Von 1989 bis 2019 war Rainer Chefredakteur der Zeitschrift Datz, hier in der Redaktion in einer ehemaligen Gemeindebücherei in Gelsenkirchen (Foto: privat).
„Mein Buntbarsch“
Später sprach ihn auf der Fachmesse Interzoo in Nürnberg der nach Venezuela ausgewanderte Aquarianer Hans-Jürgen Köpke an, der zwei in Formalin eingelegte, große Buntbarsche an den Verlagsstand brachte und fragte, was das sei. „Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Eine Uaru-Art, aber wissenschaftlich neu.“ Es kam, wie es kommen musste: Rainer beschrieb den Fisch, „seinen Buntbarsch“, schließlich als Uaru fernandezyepezi.
Aber damit nicht genug: Als im Jahr 2000 auf der Expo in Hannover das Land Venezuela einen großen Stand mit einer Galerie von Aquarien hatte, waren unter den ausgestellten Tiere eben jene U. fernandezyepezi. „Die wollten einen Querschnitt durch die venezolanische Fischwelt zeigen und Hans-Jürgen Köpke betreute diese Ausstellung.“ Man merkt heute noch, wie hellauf begeistert Rainer damals war, wenn er davon erzählt. Köpke hatte die Tiere offiziell als Geschenk für ihn dabei. „Ich habe den beschrieben und als erster lebend kennengelernt und auch nachgezogen – eine ganz tolle Geschichte, die man nicht vergisst.“
Auf Ringelnatterexkursion im Emscherbruch der Stadt der tausend Feuer, wie Gelsenkirchen zur Hochzeit der Kohle- und Stahlindustrie genannt wurde (Foto: privat).
Heute jagt Rainer eher Amphibien und Reptilien nach, Ringelnattern oder Feuersalamandern im Ruhrgebiet etwa. Mit denen hatte die Naturbegeisterung ja auch bekanntlich bei dem Vollblutaquarianer angefangen. Auf einer der ersten Fototouren im heimischen Gelsenkirchen geriet ihm eine Libelle vor die Linse – und weckte gleich die nächste Leidenschaft. Inzwischen ist der ehemalige Aquarianer – „ich habe alle Becken und auch alle Datz-Hefte abgegeben“ – für den örtlichen Nabu im Beirat der Unteren Naturschutzbehörde und hilft bei verschiedenen Naturschutzprojekten.
Hat der emsige Naturliebhaber eigentlich ein Lieblingstier? „Immer das, womit ich mich gerade beschäftige.“ Das seien lange Fische gewesen, aber eben auch Reptilien, ein paar Krebse und Insekten, „das war letztes Jahr der Feuersalamander, war auch schon mal der Laubfrosch, die Geburtshelferkröte oder die Ringeltaube“.
Noch ein Wunsch für die Zukunft? „Ich wünsche mir nur, dass ich weiterhin mit diesen Viechern aktiv sein kann, und so lange ich geländetauglich bleibe, um sie zu fotografieren, bin ich glücklich.“
Literatur:
L-Welse im Überblick: https://www.datz.de/service/welse
Nabu Gelsenkirchen (u.a. Veranstaltungshinweise zu Ringelnatter-Exkursionen mit Rainer Stawikowski): https://www.facebook.com/NABU.Gelsenkirchen/