Der zweite Guppy

Der zweite Guppy

Endlerguppys überraschen mit Formen und Farben

Text & Fotos: HARRO HIERONIMUS


Guppys kennt die Aquaristik schon seit über 100 Jahren. Allerdings die Art Poecilia reticulata. Seit den 1930er-Jahren gab es bereits Gerüchte über eine zweite Guppyart aus dem Küstenbereich Venezuelas. Bekannt wurde sie allerdings in den frühen 1970er-Jahren durch den amerikanischen Ichthyologen John Endler und wissenschaftlich beschrieben sogar erst 2005 als Poecilia wingei.

Blick auf die Laguna de los Patos, in der John Endler seine P. wingei fing. (Foto: Wolfgang Staeck)

In Kreisen der Freunde der Lebendgebärenden war sie zu diesem Zeitpunkt dennoch weit verbreitet. Der Name Endlerguppy hatte sich durchgesetzt. Doch was jetzt passierte, war überraschend: Es entstand innerhalb kurzer Zeit eine Formen- und Farbenvielfalt, die man so einfach nicht erwarten konnte.

Etwas schwieriger in der Zucht, aber sehr attraktiv ist der „Santa Maria“ Endlerguppy.


Auslesen

Vom Guppy kennt man die ausgesprochen große Variabilität in der Natur – es gibt keine zwei Männchen, die gleich aussehen. Beim Endlerguppy ist es genauso: Keine zwei Männchen sind vollkommen identisch. Es gibt einige Merkmale, die sich stark ähneln, aber genauso viele variable. Deshalb fingen die Züchter an, nach einigen Kriterien auszulesen.

Durch Auslese entstanden: Obenschwert-Endlerguppy in Gelb oder Weiß.

Ein typisches Kennzeichen der Männchen der Wildform sind die kleinen Krummschwerter (eins oder zwei). Diese können unterschiedliche Farben haben, Rot, Weiß oder Gelb. Die bestimmenden Körperfarben sind nicht einfach auszumachen. Auffällig ist der schwarze Balken auf den Körperseiten, außerdem können Rot, Grün, Orange, Gelb, Weiß und Blau sowie weitere schwarze Bereiche vorhanden sein. Das führte zu einer Benennung der Stämme mit Fundort (die bekanntesten davon sind Cumana und Campoma), aber alle gehören zur gleichen Art. Oft ist auch die Rückenflosse farbig, häufig mit schönem Blau.

Gelegentlich sind die Schwertchen bei der Wildform auch nur angedeutet.

Indem man nun Männchen – die Weibchen sind immer ungefärbt mit einer dezenten Bronzefarbe – mit bestimmten Merkmalen ausgelesen hat und auf diese immer weitergezüchtet hat, wurden Stämme erzielt, bei denen sich die Männchen immer mehr glichen. So entstanden verschiedene Ausleseformen, die auch schon als Zuchtformen bezeichnet werden müssen, da sie in dieser Gleichheit nicht in der Natur vorkommen.
Der große Durchbruch gelang, als der Endlerguppy „Scarlet“ in den Handel kam, der auf den Körperseiten ein kräftiges und flächiges Scharlachrot zeigt. Immer mehr Auslesen drängten auf den Markt, aber es sollte noch anders weitergehen.

Der große Boom dieser Guppys begann mit dem „Scarlet“-Endlerguppy. (Foto: Wolfgang Kochsiek)

Aus dem „Scarlet“-Endlerguppy wurde der „Magenta“-Endlerguppy ausgelesen.


Kreuzungen

Die ersten Kreuzungen zwischen Endler- und normalem Guppy, an die ich mich erinnern kann, wurden Ende August 1995 in Nürnberg vorgestellt. Es handelte sich um Guppys mit der typischen Endlerguppy-Körperzeichnung, die aber Schwerter in der Länge hatten, wie man sie vom normalen Doppelschwertguppy kannte, allerdings leicht krumm und ebenfalls in der Zeichnung der Wild-Endlerguppys. Ihre Kreuzungsnatur zeigten sie durch ihre Größe. Während Endlerguppys – ähnlich wie Wildguppys – klein und zierlich sind, waren diese viel wuchtiger, den Hochzuchtguppys gleichend. Sie verschwanden bald wieder, weil sie keinem Hochzuchtguppystandard zuzuordnen waren.

Eine der bekanntesten Zuchtformen ist der „Tiger“-Endlerguppy.

Diese Variante wird als „Saddleback“-Endlerguppy bezeichnet.

Etwas anderes entstand aber: Die Züchter einigten sich mehr oder weniger stillschweigend darauf, dass auch die Kreuzungen in der Körperform den in der Natur vorkommenden Endlerguppys gleichen und möglichst mindestens eines der kleinen Krummschwerter zeigen sollten. Eigene Championate und inzwischen auch ein Standard für Endlerguppys, an dem sich die Züchter orientieren, führten dazu, dass die Farbenvielfalt geradezu explodierte, die Zuchtformen aber klein und zierlich blieben.

Ein kräftiges, flächiges Blau zeigen die „Blue Star“-Endlerguppys.

Deutlich ausgedünnt ist das flächige Blau bei den blonden „Blue Star“-Endlerguppys.

 

Der aktuelle Stand

Inzwischen ist es etwas ruhiger um die Wild- und Zuchtformen geworden. Das liegt vermutlich an der überaus leichten Züchtbarkeit des Endlerguppys. Alle vier Wochen werden bis zu 20, selten mehr Junge geboren, denen die Eltern kaum nachstellen. Deswegen kann es in einem zu kleinen Aquarium (54 Liter für einen Stamm sollten es schon sein, für einen Zuchtansatz dürfen sie auch kleiner sein) schnell zur Überfüllung kommen.
Viele Zoofachgeschäfte haben Endlerguppys inzwischen in ihr Standardangebot aufgenommen. Immer noch aber arbeiten einige Züchter daran, weitere Spielarten zu kreieren. Wenn wieder Ausstellungen möglich sind, werden sie sicherlich auch vorgestellt werden.

Auch beim relativ neuen „Pingu“-Guppy steckt Endlerguppy-Erbgut drin.