Ein Fünftel aller Arten sind chinesisch

Ein Fünftel aller Arten sind chinesisch

364 Süßwasserkrabben auf dem Festland und Taiwan

Text & Fotos: OLIVER MENGEDOHT


Das Reich der Mitte hat die größte Fauna an Süßwasserkrabben und -garnelen der Welt und ist noch lange nicht erforscht. Allein für Festlandchina gelten 49 Krabbengattungen und 321 Arten als gesichert, 97 % davon sind endemisch, kommen also nur hier vor. Bei rund 1.500 Arten weltweit entfallen also rund 20 % allein auf China. Auch für Taiwan gibt es beeindruckende Zahlen: 43 Vertreter der Süßwasserkrabben sind nur für die Insel dokumentiert, zuletzt wurde sogar eine Geosesarma-Art von hier beschrieben.
Aquaristisch treten Spezies aus dem großen chinesischen Reich tatsächlich nur relativ selten in Erscheinung, am ehesten handelt es sich dann um Arten aus Hong Kong. Süßwasserkrabben finden sich von den Küsten – etwa „sekundäre Süßwasserspezies“ wie Winker- und Mangrovenkrabben – bis hoch in die Berge, wie zwei Tortomon-Arten, die in 1.800 m Höhe in der Bergprovinz Yunnan leben.
Die Familie Potamidae ist weit verbreitet über Europa, Nordafrika, den Mittleren Osten sowie Nord-, Süd-, Ost- und Südostasien. Diese größte Süßwasserkrabbenfamilie umfasst ungefähr 100 Gattungen mit 500 Arten.
Allein 250 Spezies davon kommen in China vor, von denen nur etwa 10 % der asiatischen Familie Gecrcinucidae entstammen. Viele der chinesischen Endemiten sind in den isolierten Gebirgsbächen und mittleren Flussabschnitten zu finden, die mit den Regenwäldern in den Bergen im Südwesten und Süden Zentralchinas verbunden sind. Viele sind bedroht durch die Zerstörung von Lebensräumen durch die zunehmende Landwirtschaft, die industrielle Entwicklung und die Veränderung von schnell fließenden Gewässern für die Stromerzeugung mittels Wasserkraftwerken.
Die artenreichste Gattung hieß bis vor einer Weile Sinopotamon mit 84 Arten und Unterarten – das entsprach knapp einem Drittel der Süßwasserarten Chinas. Davon wurden jedoch 73 Spezies in die neue Gattung Longpotamon ausgegliedert, so dass nur noch elf Arten in Sinopotamon verbleiben. Sie leben in Bächen auf Hügeln, in Ebenen und Bergen im gesamten Jangtse-Einzugsgebiet und Teilen des Gelben Flusses und des Huaihe-Flussbeckens in Höhen von 20 bis 2.000 m.

Pärchen einer Sinopotamon-Spezies unbekannter Herkunft.

Typische Karstlandschaft im Staatlichen Maolan-Naturschutzgebiet, Heimat von Chinapotamon maolanense. (Foto: Zou J-x, et al. (2018) / CC BY 4.0)


Tieflandarten

In der Aquaristik bekannt ist beispielsweise Nanhaipotamon hongkongense, wobei es sich bei den importierten Tieren wohl eher um die nahe verwandte N. aff. aculatum handeln dürfte. Die 19 Arten dieser Gattung kommen vor allem in den subtropischen Regenwäldern und landwirtschaftlichen Flächen des südlichen und östlichen Kontinentalchinas vor, aber auch auf Taiwan und umliegenden Inseln. Es sind typische Tieflandarten, die ihre Höhlen im weichen Schlamm in der Nähe von Bergbächen bis zu 500 m Höhe graben.
Der Name leitet sich vom Hauptverbreitungsgebiet ab, das entlang der Küsten am Südchinesischen Meer verläuft, chinesisch „Nanhai“. Wie bei vielen „Süßwasser“krabben handelt es sich auch hier um eine relativ terrestrische Art, der ein feuchtes Habitat ausreicht. N. hongkongense wurde jedenfalls auch weit entfernt von jeglichen Bächen in Wohngebieten und an Schulen entdeckt, ein Exemplar sogar in einer Höhe von über einem Meter auf einem Baum.

Nanhaipotamon hongkongense kommt in und rund um Hong Kong vor.

Eine blinde Höhlenkrabbe wurde 2020 aus Guangxi beschrieben und in die neue Gattung Phasmon gestellt. Es ist erst die zweite bekannte blinde Höhlenkrabbe aus China und Ostasien. Die Kombination eines sehr breiten Panzers ohne Pigmentierung und mit reduzierten Augenhöhlen sowie Augen unterscheidet sie von allen anderen Potamiden.

Neotiwaripotamon whiteheadi von der chinesischen Insel Hainan.

Cantopotamon zhuhaiense (A), C. shangchuanense (B), C. hengqinense (C) und C. yangxiense (D) aus Küstenregionen von Guangdong. (Fotos: Huang C., et al. (2017) / CC BY 4.0)

Die blinde Höhlenkrabbe Phasmon typhlops. (Foto: Huang C., et al. (2020) / CC-BY 4.0)


Artenreiche Insel

Auf Taiwan sind alle 43 bekannten Süßwasserkrabben endemisch. Geothelphusa, insgesamt mit 57 Arten die zweitgrößte Gattung der Familie Potamidae, bildet hier die größte Gattung mit 39 Vertretern. Die meisten leben in niedrigen bis mittleren Höhen, aber sieben Spezies bewohnen auch Höhen von über 1.000 m in den Bergen.
Geothelphusa albogilva gab es auch schon in Deutschland zu kaufen. Die meisten Potamiden auf Taiwan (Geothelphusa, Nanhaipotmaon und Candidiopotamon) sind in feuchten Lebensräumen an Bachufern unterwegs. Nachts und bei feuchtem Wetter sind viele auch etliche Meter vom Wasser entfernt auf Nahrungssuche, einige sind sehr terrestrisch. Sie graben tiefe Höhlen, die bis zum Grundwasser reichen können. Sayamia germaini und Somanniathelphusa taiwanensis als die einzigen beiden Vertreter der Gacarcinucidae hier sind fast völlig aquatisch und verlassen nur selten das Wasser.

Von der Insel Taiwan kommt Geothelphusa albogilva.

Eine sehr langbeinige Hainanpotamon-Spezies von der Insel Hainan.

Chinapotamon maolanense wurde im Jahr 2010 im Staatlichen Maolan-Naturschutzgebiet entdeckt und 2018 beschrieben. (Foto: Zou J-x, et al. (2018) / CC BY 4.0)


Varunidae und Mangrovenkrabben

Eine Besonderheit ist die Chinesische Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis), die auch bei uns bekannt ist. Fand man sie früher mitunter im Handel für den Gartenteich, ist ihre Haltung von der EU inzwischen verboten, da diese Tiere als invasive Art eingestuft wurden. Es handelt sich um keine reine Süßwasserkrabbe, denn zur Vermehrung sucht sie das Meer auf. Jungtiere wandern jedoch über Jahre bis über 1.000 km weit die Flüsse hinauf und graben dort Wohnhöhlen in Ufer und Dämme und klauen Anglern die Köder – teilweise sogar samt Fisch – vom Haken. Sie verbringen die meiste Zeit ihres Lebens im reinen Süßwasser, bevor sie zur Brutzeit in die Flussmündungen zurückwandern. Die allermeisten Tiere sterben nach dem Ablaichen im Spätsommer. In China eine Delikatesse, weiß man in Europa jedoch noch nicht so genau, was man mit der Masse an invasiven Tieren anstellen soll.

Fast weltweit als Invasor verbreitet: Die Chinesische Wollhandkrabbe. (Foto: Tang B, et al. (2020) / CC BY 4.0)


Ebenfalls aus der Familie Varunidae kommt die Flusskrabbe Varuna litterata, die sich tatsächlich gut in Süßwasseraquarien halten lässt. Die untereinander erstaunlich friedliche Krabbe mit durch dichte Borstenteppiche zu Paddeln verbreiterten Laufbeinen kann zielgerichtet schwimmen.

Flusskrabbe mit Borstenpaddeln: Varuna litterata.


Noch ein schon importierter Vertreter dieser Familie ist die Pompom-Krabbe Ptychognathus hachijoensis. Zehn von den 27 Arten in dieser Gattung kommen vornehmlich in vom Süßwasser beeinflussten Gezeitenzonen mit Korallensand und Kieselsteinen auf Taiwan vor. Mangrovenkrabben gibt es zahlreiche an der chinesischen Küste (inklusive Hainan und anderen Inseln) wie auch der taiwanesischen Küste, aus der Aquaristik kennt man etwa Pseudohelice subquadratus, Perisesarma eumolpe, Orisarma dehaani und O. intermedium, Neosarmatium asiaticum und N. rotundifrons oder Fasciarma fasciatum. Einige können viele Kilometer landeinwärts gefunden werden.

Aus den Gezeitenzonen mit Süßwassereinfluss: Ptychognathus hachijoensis.


Mit Geosesarma mirum wurde zuletzt von Taiwan eine Spezies der Vampirkrabben beschrieben, die ebenfalls große Eier (und somit eine direkte Entwicklung) aufweist und daher als Süßwasserkrabbe gerechnet werden muss. Benannt wurde sie nach ihrer unerwarteten Entdeckung auf Taiwan mit dem lateinischen Wort für Überraschung.

Eine Süßwasser-Vampirkrabbe von Taiwan: Geosesarma mirum. (Foto: Shy J-Y & Ng PKL (2019) / CC BY 4.0)

Farbenprächtig zeigt sich Yuebeipotamon calciatile aus Südchina. (Foto: Huang C., et al. (2016) / CC BY 4.0)

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Ein Beitrag aus der

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