Ein Leitfaden für Einsteiger – besseres „Spielzeug“ kann enttäuschen
Text & Fotos: BERND KAUFMANN
Manche Fragen zur Identität kleiner Organismen im Aquarium lassen sich bereits mithilfe einer guten Lupe, mit Makrofotos und brauchbarer Literatur, Internet-Recherche, Google-Bildersuche oder Aquaristik-Foren und Facebook-Gruppen klären. Die Größe der Objekte, die auf diese Weise erkannt werden können, wird jedoch im Bereich mehrerer Millimeter bis Zentimeter liegen. Bakterien erkennt man zwar mit bloßem Auge, allerdings erst, wenn sie in Massen vorkommen und sogenannte Biofilme oder watteartige Ansammlungen bilden.
Nach der Organismengruppe, die mit einfachen Lupen noch zu bestimmen sind, kommen Tiere und Pflanzen, deren sichere Erkennung bereits ein Stereomikroskop (Stereolupe) erfordert. Diese oft auch fälschlich als „Binokular“ bezeichneten Mikroskope sind für den Einstieg in die Mikroskopie sehr zu empfehlen, da sie auch später als Hilfsmittel dienen können, um gute Präparate für die höher vergrößernden Mikroskope herzustellen.
Ein Hüpferling im polarisierten Licht.
Übliche Vergrößerungen dieser Instrumente bewegen sich zwischen 20- bis 80-fach. Ein Vorteil der Geräte ist, dass sie im Gegensatz zu Durchlichtmikroskopen ein seitenrichtiges Bild zeigen und somit dreidimensionales Sehen ermöglichen. Es können mit den Geräten Oberflächen von undurchsichtigen Objekten unter sucht werden, da das Licht in den meisten Fällen von oben kommt. Es gibt allerdings auch Stereomikroskope, die mit einer zusätzlichen Beleuchtung von unten ausgestattet sind.
Ein Durchlichtmikroskop mit Phasenkontrast, Polarisationseinrichtung und Foto-Tubus.
Der wichtigste praktische Unterschied zwischen Stereo- und Durchlichtmikroskopen ist aber der Arbeitsabstand zwischen Probe und Objektiv. Während dieser bei den Stereomikroskopen je nach Vergrößerung zwischen etwa 5 und maximal 20 Zentimetern beträgt, liegt er bei den Durchlichtmikroskopen im Bereich von 10 bis 0,1 Millimeter. Grundsätzlich gilt, dass der Abstand zwischen Objekt und Objektiv mit steigender Vergrößerung immer kleiner wird.
Die Kugelalge Volvox in 400-facher Vergößerung (von oben).
Die Kugelalge Volvox in 630- (oben) und 1.000-facher (unten) Vergrößerung (von oben).
Geht es um Größenordnungen der Objekte im Bereich von Mikrometern (1 mm = 1.000 μm), also Bruchteile eines Millimeters, kommen wir an einem Durchlichtmikroskop mit Vergrößerungen von 40- bis 400-fach nicht vorbei. Doch auch nach oben gibt es Grenzen. Man sollte sich von manchen Werbeaussagen nicht blenden lassen. Ist von Vergrößerungen von mehr als 1.000-fach die Rede, sollte man sich seriöseren Angeboten zuwenden. Selbst die tausendfache Vergrößerung wird man – besonders als Einsteiger – nur sehr selten brauchen, denn dafür sind die meisten Objekte bereits zu groß. Außerdem ist es dafür notwendig, mit Immersionsöl eine Verbindung zwischen Deckglas und Objektiv des Mikroskops herzustellen.
Wirklich gute Stereomikroskope der Markenhersteller sind meist sehr teuer, gebraucht aber oft recht preiswert.
Ältere Stereomikroskope sind meist sehr einfach auf gute und sparsame LED-Beleuchtungen umzurüsten.
Kontrastarme Organismen
Viel wichtiger als die zu erreichende Vergrößerung ist es, ein Mikroskop zu wählen, das mit zusätzlichen Techniken ausgebaut werden kann oder bereits die nötige Ausstattung besitzt. So ist es zum Beispiel sehr hilfreich, wenn man kontrastarme Organismen wie Bakterien ohne umständliche Färbung im sogenannten Phasenkontrast deutlich sichtbar machen kann.
Ein weiteres, hervorragendes Kontrastverfahren ist der differenzielle Interferenzkontrast (DIK oder DIC) – es dürfte allerdings meist den finanziellen Rahmen der Hobby-Mikroskopiker sprengen. Leider gehören zu diesen speziellen Beleuchtungstechniken extra dafür gebaute Objektive und Kondensoren. Die ebenfalls effektvolle Polarisation ist dagegen mit relativ einfachen Mitteln (Polarisationsfolie) an beinahe jedem Mikroskop anwendbar. Bei neuen Mikroskopen ist die LED-Beleuchtung schon seit längerer Zeit Standard. Aber auch gebrauchte, ältere Geräte sind teilweise bereits auf LED umgerüstet. Für versierte Bastler ist der Umbau meist kein Problem und nicht selten macht es ihnen auch großen Spaß. Hat man dagegen in dieser Hinsicht keine Möglichkeiten, findet man leicht Hilfe in einschlägigen Kreisen, zum Beispiel im Mikroskopieforum (www.mikroskopie-forum.de).
Die Grünalge Oedogonium mit den typischen „Kappenringen“.
Die Wimperntiere der Art Blepharisma americanum werden etwa 0,2 bis 0,8 mm groß – und zählen schon zu den Riesen unter den Ciliaten.
Die Erreger von „Ichthyo“ im dem Phasenkontrast.
Diagnosen und Lösungen
Vor der Entscheidung für ein Mikroskop sind ein paar grundsätzliche Überlegungen wichtig. Verfolge ich einen ganz bestimmten Zweck wie etwa Diagnose von Fischkrankheiten, Lösung von Algenproblemen oder interessiert mich einfach die sonst mehr oder weniger unsichtbare Welt aller Kleinlebewesen im Aquarium? Sollen die mikroskopischen Entdeckungen in Form von Fotos und Videos dokumentiert werden? Ist bereits eine Kamera dafür vorhanden? Soll die Mikroskopie zum begleitenden, gleichberechtigten Hobby neben der Aquaristik werden?
Ein Wasserfloh im Hellfeld.
In allen genannten Fällen sollte man sich von besserem „Spielzeug“ zum Neupreis von unter etwa 100 Euro fernhalten. Das endet unweigerlich mit herber Enttäuschung. Besser ist es, von Anfang an ein ausbaufähiges Markengerät neu oder gebraucht zu erwerben und je nach Interessen Zubehör und Erweiterungen anzuschaffen. Natürlich ist auch noch etwas geeignetes „Werkzeug“ wie Mikroskopierbesteck, Objektträger, Deckgläser, Petrischalen, Probengläser und Pipetten nötig.
Etwas „Werkzeug“ wie Objektträger, Deckgläschen, Mikroskopierbesteck und Pipetten ist auch wichtig.
Nach den ersten gelungenen Präparaten ist man meist erschlagen und enttäuscht, weil man zwar viele Organismen und Objekte sieht, sie aber kaum einordnen oder genau bestimmen kann. Deshalb: Zum Mikroskop gehört neben der obligatorischen Bedienungsanleitung und ersten praktischen Versuchen unbedingt brauchbare Bestimmungsliteratur. Der Kosmos Naturführer „Das Leben im Wassertropfen“, Streble/Krauter, ist ein konkurrenzloses Standardwerk und sollte im Bücherbestand der Mikroskopiker nicht fehlen.
Hier kann man einzelne Zellen des Lebermooses Monosolenium erkennen.
Übrigens: Wer den berühmten „Wassertropfen“ einfach aus dem freien Wasser im Aquarium nimmt und hofft, darin ungeahnte Lebewesen zu entdecken, wird (hoffentlich) rein gar nichts sehen. Es sei denn, das Wasser ist durch Schwebealgen stark grün, oder durch Bakterien weißlich gefärbt. Die meisten anderen Lebewesen brauchen ein Substrat, auf dem sie sich entwickeln und vermehren können.