Aquaristik als kleines Paradies für das Seelenheil
Text & Fotos: LOU HERFURTH
„Der Blaue hat heute noch gar nichts gegessen und der Rote hat dem Schwarzen in den Schwanz gebissen!“ Und wer diese Unterhaltung für seltsam hält, der hat vermutlich auch komische Gedanken, wenn einer am Telefon den Nebensatz „Nimm bitte mal den Schwanz vom Margarinedeckel“ sagt und dabei eigentlich die Katze meint. Gespräche dieser Art sind mittlerweile keine Seltenheit mehr, denn: Oma hat ein Aquarium!
Oma wurde im Februar 86 Jahre alt und hat im Leben schon so einiges miterlebt. Zwischen Hunger, Krieg, Dürre und Corona gibt es nur wenig, das sie noch nicht gesehen hat, und umso interessanter ist es, wenn sie etwas von damals erzählt. Zum Beispiel, dass sie aus dem Kellerfenster zugesehen hat, wie die Amerikaner während des Krieges alle Hühner im Dorf geklaut haben und ihnen damit eine wichtige Nahrungsgrundlage fehlte. Über Aquaristik kann sie allerdings nur wenig sagen, denn dieses Thema war sowohl in ihren Blütejahren als auch an ihrem Lebensmittelpunkt eher irrelevant. Opa konnte Forellen angeln – irgendwas habe ich wohl geerbt –, aber das war wohl die einzige Schnitt stelle zum Thema Fisch.
Zuerst wurde das Leitungswasser auf mögliche Schadstoffe getestet.
Wie Oma auf den Fisch kam
Irgendeine Festivität feiere ich ja immer und manchmal gibt es sogar keinen geringeren Anlass, als das Leben an sich zu feiern oder die Tatsache, dass Oma ein weiteres Weihnachten, einen weiteren Sommer oder einen weiteren Geburtstag überdauert hat. Unter uns gesagt: Wer noch eine Oma hat, der hat‘s eben gut.
Wie alles begann: Oma fing an, meine Fische zu bewundern.
Und hat man Oma an besagten Festlichkeiten zwischendurch gesucht, war sie bereits dabei, Banderolenkärpflinge zu zählen, Floridakrebse zu bestaunen oder was bei mir sonst noch schwimmt und krabbelt. Den Wunsch, selbst ein Aquarium zu pflegen, hat sie allerdings nie geäußert, in der Hinsicht ist Oma bescheiden.
Es hat jedoch nicht lange gedauert und meine Mutter kam auf die Idee, dass es Oma wohl Freude machen könnte, selbst ein Aquarium zu besitzen. Und da aufgrund eines Buchprojektes noch ein Nano Cube ohne Aufgabe bei mir stand, richtete ich diesen her, sodass er rechtzeitig zu Weihnachten einsatzbereit war.
Oma bekam einen Messlöffel für das Fischfutter.
Die Augen wurden groß, als wir am Heiligen Abend das zuvor heimlich ins Wohnzimmer verbrachte und mit Tüchern abgedeckte Aquarium präsentierten. Oma war begeistert und wir erstellten ihr eine Karte mit dem Aussehen und den Namen der jeweiligen Tiere. Rennschnecken, Posthornschnecken, Garnelen und halbjunge Kampffische aus meiner eigenen Zucht machten den Anfang, denn diese saßen bereits auch vorher für mein Projekt zusammen. Damit ein Projekt erfolgreich ist, macht es meist Sinn, es so einfach wie möglich zu halten. Oma erhielt also zwei Dosen mit Futter und Messlöffeln aus dem Lebensmittelbereich, die ich so ausgewählt hatte, dass sie das Aquarium auch dann nicht überfüttert, selbst wenn sie einen „Berg“ auf den Futterlöffel packen würde.
Eine Sache hatte ich allerdings übersehen: Oma füttert die Fische immer dann, wenn sie abends ihren Kefir isst. Jedoch hat Oma manchmal vergessen, dass sie ihren Kefir bereits gegessen hat und daher zählt auch eine aufregende Schneckenzucht mittlerweile zu ihren Erlebnissen…
Solange das neue Aquarium einläuft , gibt’s eben neue Socken.
Nach kurzer Zeit erhielt Oma einen neuen Ohrensessel mit Fußablage, damit sie beim Stricken „in die Fische“ sehen konnte. Dabei telefonierte sie auch häufiger und berichtete ihren Freunden davon, welcher Fisch heute zuerst sein Abendessen „gefangen“ hätte. Ebenso redete sie mit ihren Fischen und den Garnelen – und bei jedem Wasserwechsel, den ich durchführte oder wenn ich die Pflanzen in Form schnitt oder Technik neu arrangierte, erhielt ich einen umfassenden Bericht über den Zustand ihres kleinen Paradieses.
Nicht groß genug
Wie familienintern besprochen, war der Nano Cube nur ein Testlauf. Erstaunlicherweise kam sie mit dem kleinen Aquarium gut zurecht, sodass die Frage nach einem Upgrade im Raum stand. Gesagt, getan: Dehner hielt ein Tetra-Starterset bereit, bei dem ich noch den Filter austauschte. Ich wies bereits im Vorfeld darauf hin, dass jetzt Geduld gefragt sei, denn ein Aquarium, das von Anfang an einläuft, braucht seine Zeit und sieht währenddessen nicht immer toll aus.
Bewaffnet mit einer Dose Teststreifen unterrichtete ich meine Mutter, dass neue Tiere erst einziehen dürfen, wenn kein Nitrit mehr nachweisbar ist. Zwischenzeitlich testete ich mit Tröpfchentests selbst Silikate, Kupfer, Chlor und die übrigen wichtigen Stoffe um sicherzugehen, dass das Projekt klappen würde. Der Nano Cube vorher war mit Umkehrosmosewasser gelaufen, das ich zu jedem Wasserwechsel herbeischleppte.
Bereits 2018 studierte sie meine Artikel. Sechs Jahre später wurde sie selbst Aquarianerin.
Oma strickte also Socken und amüsierte sich über den „Nebel des Grauens“, der im neuen Aquarium von Tag zu Tag neue Farben annahm, bis sie plötzlich „wieder Pflanzen“ erkennen konnte. Bereits beim Aquarienkauf ließ sich meine Mutter umfassend beraten, während ich mich grandios amüsierte (das möge man mir zugestehen, schließlich ist auch meine Mama mittlerweile im Senium angekommen und mir dünkt, dass das Aquarienprojekt nicht ganz allein Omas Wunsch war).
Die ersten Fische wurden bereits ausgesucht und ich erklärte ihr, welche zusammen schwimmen dürfen und welche besser nicht, sodass wir diese beim Aquarienaufbau bereits berücksichtigen konnten. So gab es etwa für die favorisierten Panzerwelse Sand statt Kies.
Das sagt die Wissenschaft
Laut Statista beträgt die Anzahl der Aquarien in deutschen Haushalten 2,04 Millionen. Erstaunlicherweise steigt die Zahl seit 2015 (2,00 Mio.) kontinuierlich. Als ruhiges und entspannendes Hobby und Ausgleich zum hektischen Alltag sind Fische sicher eine Alternative zum Vierbeiner. Das bewies auch eine internationale Metastudie schottischer, englischer und amerikanischer Forscher, die 19 Einzelstudien zwischen 1984 und 2017 untersucht und verglichen haben und zu dem Schluss kamen, dass Fische ähnliche Auswirkungen auf das menschliche Wohlbefinden haben wie etwa Hunde oder Katzen.
Ordnung ist das halbe Leben, auch in Omas Aquarienschrank.
In erster Linie war die Pflege des Aquariums als täglicher Strukturgeber einer der wichtigsten Aspekte, wie die Forscher herausfanden. Gerade in der zweiten Lebenshälfte sei dies ein nicht zu unterschätzender Punkt. Das stellte ich ebenfalls bei Oma fest: Fische füttern ist ihr eigens auferlegter täglicher Pflichttermin. Auch das Betrachten der Fische reduziere Stress und ließe sich körperlich messen: Herzfrequenz und Blutdruck sanken und sogar Schmerzreize wurden als weniger intensiv wahrgenommen. Bei Demenzerkrankten, die häufig untergewichtig sind, steigerten Fische sogar den Appetit, dieser Effekt ließ sich auch bei bettlägerigen Patienten beobachten.
Ein Aquarium für Oma war sicher mit eine der besten Überlegungen, die meine Familie hat anstellen können. Wenngleich ihre geschuppten Freunde keine Antwort geben, so ist meine Großmutter ganz in ihrer Mitte, wenn sie ihnen etwas vorstrickt und vom Wetter erzählt. Auch hat sie Gesprächsstoff für ihre zweibeinigen Freunde ohne Aquarium.
Die Aquarienpflege durfte natürlich ich für Oma übernehmen.
Und es ist schön zu beobachten, wie 60 Liter bewegtes Wasser einer Frau, die schon nahezu alles im Leben gesehen und erlebt hat, den Lebensabend gemütlicher gestalten und vor allem: sie vor geistigem Verfall bewahren. Auch auf das Risiko hin, dass sie manchmal schon vergessen hat, dass sie ihren Kefir schon hatte und versehentlich aktiv Schnecken züchtet. Aber Oma ist schlau und wendet dann den Gurkentrick an.
Literatur
Clements, H. et al. (2019): The effects of interacting with fish in aquariums on human health and well-being: A systematic review. PLoS One 14 (7): e0220524.