Ungeliebte Störenfriede

Ungeliebte Störenfriede

Rotalgen wie Bart- und Pinselalgen sind meist unerwünscht, manchmal willkommene Farbtupfer

Text & Fotos: BERND KAUFMANN


Manche Rotalgen im Süßwasseraquarium sind für Aquarianer im wahrsten Sinne des Wortes ein „Rotes Tuch“. Und das nicht ganz zu Unrecht, denn einige von ihnen sind nicht unbedingt eine Augenweide. Insgesamt existieren etwa 5.500 Rotalgenarten. Die weitaus meisten leben im Meer, nur etwa 170 bis 180 Arten im Süßwasser. In Aquarien findet man allerdings auch von diesen nur ganz wenige, doch die machen den Betroffenen teilweise echtes Kopfzerbrechen.

Zwei Gattungen sind es, die extrem unbeliebt sind: Bartalgen (Compsopogon) und Pinselalgen (Audouinella). Beide dürften ursprünglich aus den Tropen stammen und haben sich deshalb in den überwiegend tropischen Süßwasseraquarien in aller Welt verbreitet.

Besondere Eigenschaften dieser und weiterer Rotalgen erkennt man auch schon, wenn man Naturstandorte und die Aquarien, in denen sie vorkommen, einmal etwas genauer betrachtet. Sie wachsen auch bei sehr bescheidenen Lichtverhältnissen, bei denen viele lichtbedürftige Pflanzen und grüne Algen kaum noch existieren können.

Mikroskopisch fallen die typischen Zellen der Bartalgen mit den wandständigen Chloroplasten sofort auf.

Dies ist auch eine Erklärung dafür, warum man sie sehr häufig auf alten Blättern langsam wachsender Pflanzen wie Anubias, Cryptocorynen und diversen Farnen findet. Das liegt daran, dass Rotalgen neben Chlorophyll a über sogenannte Fotosynthese-Hilfspigmente wie Phycoerythrin (rot) und Phycocyanin (blau) verfügen, was ihnen ermöglicht, die „Grünlücke“ der Pflanzen (zwischen 490 und 620 nm) zu nutzen. Manche Rotalgen im Meer kommen sogar noch in Tiefen bis 250 Meter vor, wo nur noch sehr kurzwelliges Licht ankommt.

Das typische „Rotalgen-Aquarium“:

• Relativ schwach beleuchtet
• Langsam wachsende Pflanzen
• Oft wenig CO2
• Oft hohe Karbonathärte

Schwer nachweisbar, aber häufig beobachtet, ist die Tatsache, dass in Aquarien, denen Kochsalz oder Salzmischungen zur Aufhärtung beigemischt werden, überdurchschnittlich oft hartnäckige Rotalgenplagen vorkommen.

Bartalgen – Compsopogon caeruleus. Sehr wahrscheinlich ist C. caeruleus die einzige Art der Gattung.


Längst nicht alle rot

Ob die oft geäußerte Vermutung, dass ein hoher Eisengehalt im Aquarienwasser Rotalgenwuchs stark fördert, auch tatsächlich richtig ist, kann nur durch exakte Datenerhebung (zuverlässige Messungen und Vergleiche) belegt werden.

Längst nicht alle im Süßwasser vorkommenden Rotalgen erscheinen erkennbar rot. Und auch der bekannte Versuch, mit Alkohol (z. B. Brennspiritus) das Chlorophyll zu zerstören, um die roten Farbstoffe sichtbar zu machen, gelingt nicht immer befriedigend. Erst die mikroskopische Untersuchung bringt Sicherheit.

Mikroskopisch leicht erkennbare Zellfäden der Pinselalgen.

Pinselalgen verschiedener Farben gehören zur Gattung Audouinella.

Zum Beispiel erscheint die „Froschlaichalge“ Batrachospermum sp. im Aquarium grün bis graugrün, weshalb sie oft für eine Grünalge gehalten wird. Ähnlich sieht es mit der Bartalge Compsopogon sp. aus, wenn sie an helleren Standorten wächst. Der Grund dafür: Ihr Farbstoff Phycoerythrin ist photodestruktiv. Das bedeutet, dass er unter zunehmender Lichtstärke zerstört wird und somit auch seine färbende Wirkung verliert.

Einen genau umgekehrten Effekt findet man bei der einzelligen Grünalge Haematococcus
pluvialis, der „Blutregenalge“. Sie bildet unter schlechten Bedingungen (Austrocknung) Dauerstadien, die durch Carotinoide als Schutz vor UV-Strahlung knallrot gefärbt aussehen. Man kann sich also nicht grundsätzlich darauf verlassen, dass unser erster Eindruck auch wirklich richtig ist.

Algenfressende Tiere haben meist wenig Interesse an Rotalgen.

Rotalgen scheinen sich auch ganz allgemein in etwas härterem Wasser wohler zu fühlen. Sie enthalten verhältnismäßig viel Calcium und haben offensichtlich keinerlei Probleme mit der biogenen Entkalkung, mit deren Hilfe sie sich ausreichend mit CO2 versorgen können. Den dabei ausfallenden Kalk bauen zum Beispiel die Bartalgen (Compsopogon), aber auch andere Arten, in ihr Zellgewebe ein, was sie für einige Algenfresser anscheinend geschmacklich unattraktiv macht.

Andererseits sind aber manche Gehäuseschnecken gerade daran interessiert und fressen sie gern. Eine ausreichende CO2-Versorgung (ca. 20 mg/l) hilft nicht nur den Pflanzen enorm, sondern verhindert zuverlässig die biogene Entkalkung.

Konkurrenz durch viele Pflanzen erfordert zwar Zeit und Geduld, ist aber nachhaltig, natürlich und macht sicher mehr Spaß als endloser Kampf.


„Neue“ Arten

Ein paar „neue“ Rotalgen tauchen in den letzten Jahren häufiger in unseren Aquarien auf. Die Froschlaichalge Batrachospermum war dank ihrer charakteristischen Form (Zentralfaden mit Quirlen und umgeben von Gallertschleim) noch relativ schnell zu identifizieren. Dagegen machte die Bestimmung der Thorea hispida (T. ramosissima) und der Caloglossa cf. beccarii wesentlich mehr Schwierigkeiten.

Die Krusten-Rotalge Hildenbrandia rivularis ist dagegen schon sehr lange bekannt, kommt jedoch in Aquarien recht selten vor. Je nach der besiedelten Stelle im Aquarium ist sie entweder willkommener Farbtupfer oder auch unbeliebter Störenfried. Auf Steinen und Rückwand kann sie sehr attraktiv wirken, an der Frontscheibe will sie sicher kaum jemand haben wollen, doch ist sie dort mit einem Klingen-Scheibenreiniger leicht zu entfernen.

Die Krusten-Rotalge Hildenbrandia rivularis wächst extrem langsam.

Im mikroskopischen Bild ist Hildenbrandia rivularis ein attraktiver Farbtupfer.

Dauerstadien der Grünalge Haematococcus pluvialis sehen knallrot aus.

Da fast alle Süßwasser-Rotalgen zu den eher langsam wachsenden Plagegeistern gehören, ist die beste Möglichkeit, sie schnell wieder loszuwerden, die mechanische Entfernung. Befallene Blätter sollten dann einfach abgeschnitten werden. Ist der Befall auf die ganze Pflanze übergegangen, muss sie komplett entfernt werden. Am besten ersetzt man sie durch eine möglichst schnellwüchsige Pflanzenart wie zum Beispiel Wasserpest.

Die meist hellgrüne „Aquarien-Froschlaichalge“ ist eine tropische Art: Batrachospermum sirodotia.

Bewegliche Dekorationsgegenstände, Wurzeln, Steine und Technik, können außerhalb des Aquariums gesäubert werden. Ist aber das Kind bereits in den Brunnen gefallen, und etwa eine fest verbaute Rückwand mit Rotalgen überzogen, sollte man den „Feind“ lieber zum Freund machen und seine Existenz als natürliche Bereicherung akzeptieren – mindestens für den Zeitraum bis zur nächsten Neueinrichtung.

Thorea hispida (T. ramosissima) wird mittlerweile häufiger in Aquarien gefunden.

Vor chemischen Algenbekämpfungsmitteln, die nicht einmal als solche vom Hersteller deklariert sind, sei hier ausdrücklich gewarnt. Was Algen chemisch vernichtet, schadet mit Sicherheit auch höheren Pflanzen und auch Tieren, auch wenn man dies nicht immer sofort bemerkt.

Caloglossa cf. beccarii ist eine „neue“ Rotalge, die sogar im Handel als „Red Moss“ angeboten wird.