man muss sich frühe Webmaster als glückliche Menschen vorstellen! Vom Fleiß im frühen Internet
Text: JENS CRUEGER
„Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ So schrieb Albert Camus. Ich muss oft an diese Sätze denken, wenn ich als Digital-Historiker in den Tiefen des archivierten Webs stöbere. Wenn ich dann durch die archivierten Webseiten klicke und dabei den Fleiß und die Mühe Mancher bestaune, die in den frühen Jahren des Web eigene „Homepages“ betrieben.
Sie befüllten diese Seiten mit all den Informationen, die ihnen mitteilenswert erschienen. Viele dieser Hobby-Websites aus den 1990er-Jahren sind beeindruckend groß, detailreich gestaltet, mit komplexer Struktur aus unzähligen Menüpunkten.
Wie Sisyphos waren die frühen Webmaster hinter diesen Websites mit einer kaum lösbaren Aufgabe konfrontiert, nämlich eine sinnvolle und vielleicht gar erfolgreiche Website zu erschaffen, trotz wenig potenziellem Publikum (im Jahr 2000 waren erst 18,3 Millionen Deutsche „online“), wenig technischen Funktionen (man wollte ja sparsam bleiben), wenig Möglichkeiten, gefunden zu werden (ich schrieb schon über die Webringe), und überhaupt einer völligen Offenheit (bzw. Ratlosigkeit), wer wann und warum einen bestimmten Inhalt überhaupt suchen könnte.
Weder die Nutzer noch die Webmaster hatten in den 1990ern eine wirkliche Vorstellung, wohin das Internet steuern würde. Manch private Vivaristik-Website wurde (Sisyphos lässt grüßen!) deshalb binnen weniger Jahre immer wieder neu gestaltet, mit neuem Layout, neuen Inhalten, neuer Webadresse. Eine Website, die den Fleiß und Experimentierwillen dieser frühen Webmaster sehr schön zeigt, war die „Bücherliste Aquarium“, die ab 1997 eine „Aufstellung von zur Zeit erhältlichen Büchern zum Thema Aquarium“ bot. Diese waren nach Kategorien sortiert und mit der ISBN versehen, so konnte sie „grundsätzlich jeder!! Buchhändler besorgen“. Heute, wo wir Affiliate-Links und Onlineshopping gewohnt sind, zeigt allein dieser Umstand schon, wie anders das Internet damals genutzt wurde.
Die Website war inhaltlich so umfangreich, dass man sämtliche Literaturangaben zwar herunterladen konnte, aber beim Ausdrucken „Vorsicht“ walten lassen sollte, denn die Liste umfasste „mehr als 80 Din A4 Seiten“.
