Ullis Szeneblick aus caridina 04/2022

Ullis Szeneblick aus caridina 04/2022

Unsere Kolumnistin Ulli Bauer erzählt aus dem ganz alltäglichen Wahnsinn einer Garnelenverrückten, die sich im Online-Universum bewegt.


Libellenlarven, die Zweite

Stell dir vor: Facebook, 2022, jemand zeigt ein Bild einer Insektenlarve, drei Schwanzanhängsel, schlanker Hinterleib, sechs Beine, das Tier sitzt von links nach rechts im Bild. Alle sind sich einig – ja, das ist eine Kleinlibellenlarve. Bitte nicht aussetzen, im Aquarium sind meist gebietsfremde Arten unterwegs. Es gibt eine Auffangstation, die die Tiere aufnimmt, du musst sie also nicht unbedingt killen. Artikel werden verlinkt, die Auffangstation wird verlinkt. Soweit alles normal also.
Und dann kommt jemand um die Ecke, der mehr weiß: „Das ist eine Hydra!1eins!!elf!11!!!“ Echt jetzt? Hier ist übrigens der Link zur Auffangstation von Julia Schmitt (QR-Code). Wenn ihr eine Libellenlarve (oder mehrere, es schlüpfen ja meist viele) aus eurem Aquarium gefischt habt, euch sicher seid, dass sie nicht mit Tümpelfutter ins Becken gelangt und somit relativ sicher nicht bei uns heimisch ist, könnt ihr sie zur Bestimmung und weiteren Aufzucht einschicken.



Unser Umgang mit Einsteigern

Heute las ich auf Facebook in einer Krebsgruppe eine Konversation, die mich zum Nachdenken gebracht hat. Ein ganz klar als Anfängerin ersichtliches Gruppenmitglied stellte eine mehr oder weniger panische Frage, die mehr als deutlich durchschimmern ließ, dass da sehr viel an Grundlagen fehlte. Meine Reaktion war spontan: „Puuuuh, sowas weiß man doch *augenroll* – erstmal mit der Materie beschäftigen, ehe man sich Tiere anschafft!!!“
Glücklicherweise war ich aber nicht die Erste, die diesen Beitrag fand, und ein anderes, sehr erfahrenes Gruppenmitglied nahm die Anfängerin wirklich lieb an die virtuelle Hand, erklärte ihr ausführlich, welche Art sie überhaupt am Start hatte, was bei einer Häutung passiert, dass die Tiere dabei auch mal die Farbe wechseln können, und was vermutlich der Grund für die Macke sei, nach der in Panik gegoogelt wurde, und dass die (recht abstrusen) Befürchtungen mit hoher Sicherheit gar nicht eintreffen würden.
Die Reaktion der Threaderstellerin war unglaublich schön zu lesen – mit vielen Herzen garniert und voller Erleichterung und Dankbarkeit. Demütig gelobte ich vor mir selber Besserung. Manchmal vergisst man vor lauter Selbstgerechtigkeit, dass am anderen Ende ebenfalls ein Mensch sitzt, dem es vielleicht wirklich grade nicht gut geht und der sich ehrliche Sorgen macht. Ein freundlicher Umgang und eine geduldige Erklärung kann so viel Gutes bewirken!


Pferde, nicht Zebras

„Wenn du Hufgetrappel vor dem Fenster hörst, denk an Pferde, nicht an Zebras!“ Ockhams Rasiermesser könnte man auch auf die Aquaristik ausweiten. Wenn du eine transparente Garnele in deinem Aquarium findest, denk an „mit den Pflanzen eingeschlepptes Jungtier“ oder meinetwegen auch an „Neocaridina-Wildform“ oder „Sulawesi-Inlandsgarnele“. Dass Amanogarnelenlarven im Aquarium groß werden, ist zwar prinzipiell in Ausnahmefällen ganz vereinzelt tatsächlich möglich, aber nicht in dem Maße, wie es im Moment wieder durch die sozialen Netzwerke und Gruppen rennt.
Jeder möchte gerne das Besondere, das Phänomen im Aquarium haben – aber glaubt mir: In den allermeisten Fällen ist das entweder keine Amano, sondern eine ähnlich gemusterte, aber kleinere Garnele, die sich im Süßwasser wirklich vermehren kann, oder ein eingeschlepptes Tier, das irgendwo als Algenvernichter in der Zoohandlung in den Pflanzen saß und als blinder Passagier mitgekauft wurde.
Und bitte seid nicht sauer, wenn die Menschen in den Gruppen Eurer sensationellen Entdeckung erstmal mit Skepsis begegnen. Es ist wirklich extrem selten, dass Amanolarven im Süßwasser durchkommen. Hand drauf!

 

Ulli Bauer - Caridina

Eure Ulli Bauer

 

Ein Beitrag aus der 

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